Name: Herr Knecht
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Telefon: 030-4664-0
Geführt von Wolfram Pemp und Thomas Ziem, LKA Präv Projekt JLUP,
am 13. April 2021
Ich bin als Kind mit meinen Eltern aus Russland nach Deutschland eingewandert. Hier bin ich zur Schule gegangen und habe mein Abitur gemacht. Dann habe ich unter anderem Kriminologie studiert. Meine Muttersprache ist Russisch.
Das Wort „Jude“ ist schon so belastet. Es können schon unangenehme Situationen entstehen, wenn man lediglich das Wort „Jude“ verwendet. Irgendwie ist es traurig, weil das Jüdischsein auch ein Teil meiner Identität ist.
Es gibt viele verschiedene Facetten, wie man das Jüdischsein interpretiert. Im sowjetischen Sinne war das eine Nationalität. Eine Nationalität, deren Angehörigkeit doch etwas gefährlich ist. Meine Mutter sähe in diesem Interview einen Nachteil für mich. Sie hätte Angst, dass ich diskriminiert werde Also dass mir irgendetwas Schlimmes passieren könnte, weil man darüber nicht redet. Man hatte immer vorsichtig mit dem Thema umzugehen.
Religiös waren wir nie. Aber ich weiß, dass meine Vorfahren sehr religiös waren.
Ich trage das nicht vor mir her. Ich trage auch keinen großen Davidstern. Aber wenn man mich direkt darauf anspricht, dann ist es mir auch zu blöd, nicht dazu zu stehen. Dann sage ich auch, dass das meine Geschichte ist, dass das meine Wurzeln sind. Aber ich definiere mich nicht darüber. Ich habe sehr viele Eigenschaften, die genauso wertvoll sind. Es ist aber Teil meiner Identität, ein Teil meiner Wurzeln. Ich halte mich weder für etwas Besonderes, noch habe ich Anspruch auf etwas. Wir sind genauso Menschen wie alle anderen, ich arbeite genauso hart für meinen Erfolg.
Ich bin gerne ab und zu bei jüdischen Feiertagen und Festen dabei. Ich mag einfach dieses Zusammensein. So ähnlich wie es viele Menschen an Weihnachten mögen.
Ich mag das Jüdische der Geselligkeit wegen. Wenn man irgendwo ankommt und verankert ist. Ich selber bin entwurzelt. Rausgenommen aus einem Ort und, ohne gefragt zu werden, an anderer Stelle wieder reingesetzt. Mir ist Verwurzelung wichtig. Ich weiß, das sind meine Wurzeln.
Da habe ich Menschen, die mich verstehen. Auch wenn es sie nicht zu besseren Menschen macht, weil sie jüdisch sind. Es gibt auch nichts, wofür man sich schämen muss. Ich möchte aber auch nicht dieses Besondere vor mir hertragen. Letztlich ist die Religion auch eine Privatsache.
Die Familie fand es gut, meinte, es wäre ein sicherer Job. Ich glaube, meine Großeltern hätten damit ein Problem gehabt. Für sie wären wir Verräter, da Deutschland ein No-Go war. Aber meine Eltern haben ja die Entscheidung gefällt.
Persönlich, gegen mich, habe ich keinen Antisemitismus erlebt. Vielleicht hat sich auch niemand getraut. Einerseits wissen es viele nicht, weil ich es auch nicht zeige und man es mir eventuell nicht so ansieht. Aber dann denke ich mir immer, dass es schön ist, wenn man mich als Mensch kennenlernt, und dann erst meine Herkunft. Sonst denke ich, dass ich in eine Schublade gesteckt werde. Weil auch so viele Menschen keine Jüdinnen und Juden kennen, möchte ich, dass sie mich als Menschen sehen, und dann können sie erfahren, dass ich jüdisch bin. Außer wenn es ein ganz klarer Nazi ist, dann würde ich ihm das auch direkt sagen, dass ich jüdisch bin. Ich sehe es nicht ein, Angst vor solchen Personen zu haben.
Seit ein paar Jahren arbeite ich bei der Polizei und habe es noch nie bereut, zur Polizei gegangen zu sein. Mich interessieren die Menschen. Mich interessieren die Aufgaben. Es bleibt immer spannend.
Ich wünsche mir, dass die Berliner Polizei in ihrer Architektur weniger grimmig wirkt. Manche Symbole, wie die Adler am Präsidium, sind für mich persönlich fraglich. Ich verstehe das schon, dass das historisch ist. Die Frage ist nur, welchen Einfluss solche Symbole auf uns als Polizeimitarbeitende haben und auch wie wir damit nach außen wirken. Ich persönlich lasse mich von den Symbolen nicht einschüchtern. Ich wünsche mir auch, dass mehr in die Polizei Berlin investiert wird, damit hier alles etwas moderner gestaltet werden kann.
Man darf keine Hakenkreuze per WhatsApp verschicken, ob das nun in dem Moment subjektiv lustig ist oder nicht. In dem Zusammenhang wäre es aber wichtig zu erfahren, mit welcher Motivation solche Inhalte verschickt wurden. Dann könnte man daran ansetzen und mit den Kolleginnen und Kollegen sprechen. Man kann diese Einstellungen nur bekämpfen, wenn man die Ursachen versteht. Eigentlich erwarte ich von Kollegen, dass er oder sie von sich aus merken, dass so etwas nicht tolerierbar ist. Das sollte aus dem inneren demokratischen Verständnis heraus klar sein. Was da falsch gelaufen ist, kann man nur verstehen, wenn man die Beweggründe kennt.
Unter vier Augen ansprechen. Sprich die Kollegin oder den Kollegen direkt an.
Für mich stehen Menschlichkeit und Demokratie an erster Stelle, unabhängig von der Religion und anderen Merkmalen, wie zum Beispiel Herkunft und Hautfarbe. Die Verinnerlichung des Artikels 3 unseres Grundgesetzes setze ich voraus, vor allem bei den Menschen, die dem Staat dienen. Wenn da ab und zu etwas schiefläuft, muss man das umfassend wissenschaftlich bzw. kriminologisch untersuchen.
Ich finde die aktuelle Verbreitung von Verschwörungstheorien, den versteckten, aber auch den offenen Antisemitismus, besonders bedenklich. Man kann in den Sozialen Medien ganz schön gruselige antisemitische Aussagen lesen, vor allem bei den sogenannten Corona-Leugnern. Ich finde aber auch die Aggressivität der Aussagen zum Thema „Israelkritik“ ziemlich erschreckend.
Letztlich weiß ich auch nicht, wie man diese unterschiedlichen Menschen davon abbringt, gruppenbezogenen Hass zu empfinden bzw. antisemitisch zu sein. Auch die Polizei ist ja am Ende nicht die Instanz, die die Menschen „erziehen“ sollte. Da müsste man viel früher anfangen. In der Bildung, in der Schule, vielleicht schon im Kindergarten.