Name: Herr Knecht
E-Mail: dir-zs-ikt-barrierefreiheit@polizei.berlin.de
Telefon: 030-4664-0
Geführt von Wolfram Pemp und Thomas Ziem, LKA Präv Projekt JLUP,
am 9. April 2021
Ich habe eine deutsche Mutter, eine anerkannte Verfolgte des Naziregimes, die auch Verluste in ihrer Familie während der NS-Zeit hatte. Hieraus resultiert meine Zugehörigkeit zum Judentum. Dann hat sie meinen Vater kennengelernt, der ein türkischer Einwanderer war. Er hat der Religion neutral gegenübergestanden.
In den Schulen ist es nie bekannt gewesen, dass ich Jude bin. Es wurde auch nicht von mir reingetragen. Das hätte ich machen können, öffentlich mit einer Kippa rumlaufen und mal gucken, was das für eine Reaktion gegeben hätte. Das ist nicht erfolgt. Es kam in der Schulzeit zu keinen Vorfällen. Gar nichts dahingehend. Der Klassenlehrer wusste davon Bescheid. Aber dadurch hatte ich keinen Nachteil oder habe negative Erfahrungen gemacht.
In der Schulzeit habe ich die Bar Mizwa [„Sohn des Gebotes / der Pflicht“, Aufnahme als gleichberechtigtes Mitglied in die jüdische Gemeinde mit allen religiösen Rechten und Pflichten (Religionsreife), für Jungen im Alter von 13 Jahren] gemacht, in der Synagoge Pestalozzistraße. Hierfür habe ich Hebräisch gelernt, es danach aber nicht mehr angewendet. Mit dem damaligen Rabbiner Stein und dem bereits verstorbenen Estrongo Nachama. Das war sehr positiv. Zuvor wurden einige Vorbereitungen im Gemeindezentrum für die Bar Mizwa getroffen, wo man sehr viel Geduld mit mir hatte.
Also hatte ich dann meine religiöse Heimat in der Pestalozzistraße, in der Synagoge, wo man ein echt tolles Gefühl hatte. Viele Ältere waren dort, kaum welche in meinem Alter.
Man wurde dort sehr wohlwollend aufgenommen. Sie fanden das super, dass sich einer von der Jugend für die Religion interessiert – so war zumindest mein Eindruck.
Gleich nach der Oberschule habe ich mich bei der Polizei beworben. Einen Monat später war die Wiedervereinigung. Man sagte mir damals, dass ich gute Chancen hätte. Und so habe ich im mittleren Dienst angefangen.
Zuerst zu einer Direktionshundertschaft. Da fühlte ich mich nicht wohl. Das hatte aber nicht mit diesem religiösen Hintergrund zu tun, sondern es war der Umgang mit jungen Kolleginnen und Kollegen. Vielleicht war ich nicht duckmäuserisch genug. Wenn ich etwas nicht hinnehmen wollte, habe ich das also auch gesagt.
Meine Mutter hat sehr geschluckt, als sie mich bei meinem Eintritt in die Polizei in einer deutschen Uniform gesehen hat. Als ich ihr später erzählte, dass ich mich unwohl in der Einsatzhundertschaft fühle, hat sie natürlich wie eine Furie reagiert. Ich wollte gerne aus der Einsatzhundertschaft in einen anderen Bereich wechseln, was mir aber anfänglich verwehrt wurde. Da hat sich meine Mutter hinter meinem Rücken irgendwie engagiert und eingemischt. Ich weiß zwar nicht, was, wie und wo genau, aber es wurde mir dann letztendlich doch ermöglicht, auf einen Abschnitt zu wechseln. Ich vermute, meine Religion muss ein Thema gewesen sein, da ich nach dem Wechsel auf den Abschnitt sehr deutlich vermittelt bekam, dass mein jüdischer Glaube dort bekannt war und ich dadurch keine Vorteile zu erwarten hätte. Damit musste ich umgehen und es gelang mir im Anschluss, durch Leistung zu überzeugen. Das war 1993.
Ich hatte Abenteuerlust und wollte keinen Bürojob. Zwei Sachen waren zur Wahl – Bundeswehr und Polizei. Mit der Bundeswehr hat meine Mutter sehr große Probleme gehabt. Polizeiuniform ja, aber Bundeswehr nicht.
Polizist zu sein, ist ein Hobby und gleichzeitig ein Beruf. Ich bin sehr überzeugt davon. Ich sehe die Wichtigkeit von diesem Job, aber auch Verbesserungsbedarf bezüglich der Außenwirkung.
Ein guter Polizist muss Opfern zuhören und sie dementsprechend betreuen. Ich habe schlimme Erfahrungen gemacht im Zusammenhang mit Vorgängen der Häuslichen Gewalt.
Die Glaubwürdigkeit und Empathie von einigen Kolleginnen und Kollegen habe ich wirklich vermisst und auch das Engagement war nicht bei allen ausreichend vorhanden.
Wir haben zwar keinen Einfluss auf die Justiz, aber wir können versuchen, den Opfern Dinge zu erklären. Das fehlte einigen zu häufig.
Innerhalb der Polizei habe ich keinen Kontakt zu jüdischen Kolleginnen und Kollegen. Ich war echt gespannt, ob es überhaupt weitere gibt, die diesen Schritt wagen. Vor dem Erscheinen des Antisemitismusbeauftragten hätte ich nicht gedacht, dass es andere Jüdinnen und Juden bei der Polizei gibt.
Ich hatte in meinem Leben mit Antisemitismus kein Problem. Ich lasse mich ungern einschüchtern.
Ich glaube, man trennt nicht mehr zwischen Jüdinnen und Juden und der Staatspolitik von Israel. Das wird heute immer einheitlich gesehen.
Auf den Dienststellen wissen Kolleginnen und Kollegen eher nicht, dass ich Jude bin, aber von ihnen wiederum ist es in Teilen bekannt geworden. Aufgrund der Einladung zur Zusammenkunft jüdischer Kolleginnen und Kollegen mit dem Antisemitismusbeauftragten der Polizei Berlin, die Sie, Herr Pemp, geschrieben haben. Woraufhin ich gesagt habe, dass ich dort einen Termin habe und gern dorthin gehen würde. Da kam die Frage auf, was denn das für ein Termin sei. Ich sagte: „Ich möchte mich beraten lassen“ und dachte mir, „Okay, ich bin ehrlich. Ich sage mal, worum es dort geht“. Andere Kolleginnen und Kollegen haben mich dann auch angesprochen. Es ist dann anscheinend so auf dem „Flurfunk“ weitergegeben worden.
Früher gab es bei der Polizei mehr negative Vorfälle als heute. Positiver ist heute auch das Auftreten der Präsidentin. Die allgemeine Situation hat sich verbessert. Es gibt heute mehr finanzielle Leistungen und persönliches Entgegenkommen als früher.
Die Präsenz des Antisemitismusbeauftragten ist für mich positiv, hat aber bei manchen Kolleginnen und Kollegen auch für Unruhe gesorgt. Genauso wie bei diesen Vorfällen mit den Chatgruppen. Ich denke, einige sind vorsichtiger geworden und kommunizieren nicht mehr so offen.
Da passe ich mich den Meldungen aus der Presse an. Mit den ersten Ereignissen, als Personen mit einer Kippa auf dem Hermannplatz angegriffen wurden, habe ich überlegt, mir das mal anzutun. Es kann nicht sein, dass mir fremde Menschen – und das sind ja keine offensichtlichen Rechtsextreme – verbieten wollen, öffentlich eine Kippa zu tragen. Das sind schon die Anfänge.
Ich bin ins Judentum nie so tief eingestiegen, wie ich es mir erwünscht hätte. Ich habe auch eine Nichtjüdin geheiratet. Ich halte fest daran, verfolge es aber nicht religiös. Ich würde eine koschere Lebensweise nicht durchsetzen wollen. Aber ich bringe das Judentum meinem Sohn nahe. Der möchte auch zur Polizei.
Manchmal überrollt der Alltag die Aufmerksamkeit auf die eigenen Bedürfnisse. Mit aufkommendem Alter wird der Wunsch stärker, mich wieder mehr an der Religion zu orientieren. Mich ärgert, dass ich es noch nie ins Jüdische Museum geschafft habe. Aber das wird sich bald ändern. Ich möchte ja auch meinem Sohn zeigen, wie Papa tickt.
Etwas Lustiges: Ich war beim Objektschutz in der Synagoge am Fraenkelufer mit eingesetzt. Ich glaube, es war ein Samstag. Zu Beginn des Gottesdienstes waren zu wenige Personen anwesend, um den Gottesdienst zu beginnen. Ich hatte echt überlegt, ob es vertretbar ist, der Schutzeinrichtung zu sagen, dass ich mich melden könnte, um am Anfang beizuwohnen, den Gottesdienst zu einem Minjan [Anzahl von mindestens zehn religiös mündigen Jüdinnen und Juden, um einen Gottesdienst abzuhalten] aufzufüllen und dann wieder rauszugehen. Aber wo lasse ich meine Waffe? Dann ist aber der israelische Sicherheitsmann reingegangen und hat den Gottesdienst mit eröffnet. Das war das erste Mal, dass ich daran dachte, so etwas mitzumachen und zu schauen, wie das bei den Kolleginnen und Kollegen ankommt.
Der Schutz jüdischer Objekte und Personen in Berlin ist notwendig. Aber wie effizient das ist, kann immer nur ein Stresstest ergeben. Anschläge wie der in Halle sind für mich die größte Gefahr.
Einmal wollte ich meiner kranken Mutter jüdisches Essen zum Geburtstag bringen, wusste aber gar nicht, woher ich das bekomme. Ich dachte da an das Restaurant im Gemeindehaus und das Geschäft in der Passauer Straße. Aus dem Internet habe ich dann erfahren, wie viele jüdische Restaurants es in Kreuzberg gibt. Von keinem hatte ich gehört, dass es schon gebrannt hatte, es geplündert wurde oder Personen dort angegriffen wurden. Das hat mich gewundert. Die scheinen nicht groß geschützt zu werden und müssen es wohl auch nicht. Provozierender ist es wahrscheinlich, in Neukölln mit einer Kippa spazieren zu gehen, als diese Restaurants aufzusuchen.
Es kann nicht sein, dass ich auf meine eigene, persönliche Sicherheit achten muss, wenn ich mit meiner Kippa irgendwo hingehen möchte.
Jedes einzelne Opfer, was man hinnimmt, ist zu viel. Ich sehe keinen Grund zur Resignation.