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Zusammenfassung:
MARTHA MOSSE wurde 1884 in Berlin geboren. Sie promovierte 1920 zum Doktor der Rechtswissenschaften (Dr. jur.) an der Universität Heidelberg und wurde 1922 ins Berliner Polizeipräsidium berufen, wo sie 1926 zum ersten weiblichen Polizeirat Preußens ernannt wurde. Im Jahre 1933 wurde sie als Staatsbeamtin in der Abteilung für Theater und Kunst eingesetzt und nur einen Monat später aufgrund ihrer jüdischen Herkunft mit sofortiger Wirkung entlassen. In der Zeit von 1934 bis 1943 war sie in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin angestellt und dort ab Sommer 1939 die Leiterin der Wohnungsberatungsstelle. Mosses Aufgabe bestand ab diesem Zeitpunkt darin, den räumungspflichtigen Mitgliedern der Gemeinde bei der Beschaffung eines jeweils neuen geeigneten Wohnraumes zu helfen. Ab Anfang Oktober 1941 wurde die „Wohnungsberatungsstelle“ von der Gestapo zwangsweise in die Organisation der „Umsiedlung“, d. h. Deportation der Berliner Gemeindemitglieder eingebunden.
Als Leiterin war Mosse somit direkt den Weisungen der Gestapo unterstellt, bis sie 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Martha Mosse wurde nach ihrer Ankunft zur Untersuchungsrichterin der jüdischen Selbstverwaltung bestimmt, wo sie bis zum Kriegsende arbeitete. Nach Kriegsende lehnte Martha Mosse eine mögliche Auswanderung in die USA ab, da ihre Lebensgefährtin Erna Stock keinen Erlaubnisschein zur Emigration erhielt. Beide blieben als Paar in Berlin. Von 1948 bis zu ihrer Pensionierung 1953 arbeitete Martha Mosse wieder im Polizeidienst, zuerst als Justiziarin in der Kriminalabteilung, dann in der Verkehrsabteilung des Berliner Polizeipräsidiums. Nach ihrer Pensionierung zeigte sie großes Engagement in der Berliner Frauenbewegung, bis sie 1977 in Berlin verstarb.
Ausführung:
Auszug aus der schriftlichen Hausarbeit Modul MV2 Vertiefung II der Studierenden: G. Gkadris, C. Kocyigit und F. E. Lefeber; Gutachter: Frank-Peter Bitter, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Fachbereich 5 – Polizei und Sicherheitsmanagement, Bachelor-Studiengang Gehobener Polizeivollzugsdienst, 25. Februar 2021
Martha Mosse entstammte einer angesehenen jüdischen Familie in Berlin und war die älteste von insgesamt fünf Geschwistern. Ihr Vater Albert Mosse war der Bruder des Verlegers Rudolf Mosse. Er war Jurist und arbeitete unter anderem als Kreis- und Amtsrichter in Berlin. Die Arbeit des Vaters war der Grund, warum die Familie Mosse von 1886 bis 1890 auf Anfrage der Regierung nach Japan zog. Albert Mosse wirkte dort unter anderem an der Verfassung Japans mit.
Zurück in Deutschland besuchte Martha Mosse die Arnheim‘sche höhere Töchterschule in Königsberg (Preußen). Im Jahr 1902 beendete sie die Schule – anders war es für Mädchen noch nicht möglich – ohne Abitur. Nach ausgedehnten Reisen zog die Familie 1907 wieder nach Berlin, wo Martha etwa drei Jahre Gesang studierte und musiktheoretischen Unterricht nahm. Sie stellte jedoch fest, dass ihr musikalisches Talent nicht für eine professionelle Karriere genügte. Nach Abbruch ihres Musikstudiums besuchte Martha Mosse ab 1910 die „Soziale Frauenschule“ in Berlin und arbeitete als Ehrenamtliche bei der „Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge“.
Ab 1916 begann Martha Mosse in Heidelberg und Berlin als Gasthörerin juristische Vorlesungen zu besuchen. In Heidelberg wurde sie kurze Zeit später, trotz fehlendem Abiturs, für eine Doktorarbeit zum „Erziehungsanspruch des Kindes“ zugelassen.
Nach ihrer Promotion zum Dr. jur. 1920 wurde Martha Mosse eine Sondergenehmigung für eine sechsmonatige Hospitation als Rechtsreferendarin am Amtsgericht Berlin-Schöneberg erteilt. Im Anschluss daran war sie ab 1921 als juristische Hilfskraft im Preußischen Wohlfahrtsministerium, dem heutigen Bundesratsgebäude, beschäftigt. Bereits 1922 wurde sie durch den preußischen Innenminister Carl Severing ins Berliner Polizeipräsidium berufen, wo sie eine der ersten Frauen in der Berliner Polizei war. Hierzu schrieb sie in ihren Erinnerungen:
Martha Mosse: Erinnerungen, Typoskript [1963]: Leo Baeck Institute ME 751(MM121)
Anfangs in der Theaterabteilung tätig, übernahm sie die Verantwortung für die Überwachung der Einhaltung der Kinderschutzbestimmungen bei öffentlichen Darbietungen wie Theateraufführungen oder bestimmten Filmaufnahmen.
Seit den 1920er Jahren engagierte sich Martha Mosse aktiv in der Frauenbewegung, wo sie auch die Bibliothekarin Erna Sprenger kennen und lieben lernte. In Berlin-Halensee bezogen sie eine gemeinsame Wohnung. Ungefähr 1925 trat Martha Mosse in den „Verein zur Förderung der Sittlichkeit“ (später: „Bund für Frauen- und Jugendschutz“) ein. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende ihrer dienstlichen Laufbahn engagierte sich Mosse im „Berliner Frauenbund“, vor allem im Ausschuss „Altershilfe der Frauenbewegung“ und fungierte als stellvertretende Vorsitzende.
Im April 1933 wurde Martha Mosse auf Grundlage des antisemitischen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom Dienst suspendiert und ohne Bezüge entlassen.
Ab 1934 begann sie in verschiedenen Sachgebieten der Verwaltung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin als Angestellte zu arbeiten.
Im Sommer 1939 wurde Martha Mosse die Leitung der sogenannten „Wohnungsberatungsstelle“ übertragen. Auf Grundlage des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 hatten Juden ihre Wohnungen zu Gunsten von nichtjüdischen Mietern zu räumen. Mosses Aufgabe bestand ab diesem Zeitpunkt darin, den räumungspflichtigen Mitgliedern der Gemeinde bei der Beschaffung von neuem geeigneten Wohnraum zu helfen. Ab Anfang Oktober 1941 wurde die „Wohnungsberatungsstelle“ von der Gestapo zwangsweise in die Organisation der „Umsiedlung“, d. h. Deportation, der Berliner Gemeindemitglieder eingebunden. Als Leiterin war Mosse somit direkt den Weisungen der Gestapo unterstellt. Es entstand ein „laufender Kontakt zu den mit der Deportation beauftragten Beamten der Stapoleitstelle Berlin“, erklärte Mosse in einem späteren Bericht.
Ferner äußerte sie:
Auszug aus einem Bericht 1958, unterzeichnet von Martha Mosse
Am 16. Juni 1943 wurde Martha Mosse selbst – zusammen mit dem größten Teil der führenden Funktionäre der Jüdischen Gemeinde zu Berlin – durch die Gestapo nach Theresienstadt deportiert.
Auszug einer Vernehmung aus dem Jahr 1968
Das Ghetto Theresienstadt wurde unter Aufsicht und strenger Kontrolle der SS in Selbstverwaltung durch einen von der SS bestellten „Judenältesten“ und einen „Ältestenrat“ geführt. Martha Mosse wurde nach ihrer Ankunft zur Untersuchungsrichterin der jüdischen Selbstverwaltung bestimmt, wo sie bis zum Kriegsende arbeitete.
Abgemagert, krank und körperlich geschwächt, kehrte Martha Mosse im Juli 1945 nach Berlin zurück. Von ihrer mittlerweile in den USA lebenden Schwester wurde sie aufgefordert, ebenfalls dorthin auszuwandern. Martha Mosse lehnte jedoch ab, da ihre Lebensgefährtin Erna Stock (geborene Sprenger) keinen Erlaubnisschein zur Emigration erhielt. Beide blieben als Paar in Berlin.
Aufgrund ihrer ehemaligen Tätigkeit in der „Wohnungsberatungsstelle“ der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wurde Mosse der Kollaboration bezichtigt. Hierdurch verlor sie mehrere zwischenzeitliche Anstellungen und stellte sich daher 1947 einem Ehrengerichtsverfahren. Dort wurde sie zwar nicht für schuldig befunden, aber sie bekam auch keinen Freispruch.
Nach diesem Verfahren war sie als Beraterin und Übersetzerin für die US-amerikanische Militärregierung in Vorbereitung auf die Nürnberger Prozesse beschäftigt. Von 1948 bis zu ihrer Pensionierung 1953 arbeitete sie wieder im Polizeidienst, zuerst als Justiziarin in der Kriminalabteilung, dann in der Verkehrsabteilung des Berliner Polizeipräsidiums. 1953 ging sie mit 69 Jahren in den Ruhestand. Am 2. September 1977 verstarb Martha Mosse in Berlin im Alter von 93 Jahren. Für die Berliner Polizei hat sie einen wichtigen Beitrag zur Gleichstellung von Frauen geleistet und sie steht für die frühe Frauenbewegung insgesamt. Dass sie wieder in die Polizei zurückging, zeigt, wie sehr sie den Polizeiberuf schätzte und an den demokratischen Wiederaufbau glaubte.
Auszug aus einer Vernehmung aus dem Jahr 1968
Martha Mosse: Erinnerungen, Typoskript [1963]: Leo Baeck Institute ME 751(MM121)