Name: Herr Knecht
E-Mail: dir-zs-ikt-barrierefreiheit@polizei.berlin.de
Telefon: 030-4664-0
Geführt von Wolfram Pemp und Thomas Ziem, LKA Präv Projekt JLUP, am 14. April 2021
Innerhalb meines Kollegiums gehe ich erst seit etwa drei oder vier Jahren halbwegs offen mit meiner jüdischen Herkunft um. Es wissen auch nicht alle in meinem beruflichen Umfeld Bescheid. Eine Kippa würde ich beispielsweise nicht im Dienst tragen, allerdings bin ich ohnehin säkular [weltlich, nicht religiös].
Aufgewachsen bin ich teils im Ausland, teils in Deutschland. Nach Berlin kam ich dann, weil ich hier im gehobenen Dienst der Kriminalpolizei anfangen konnte. Das war schon lange einer meiner Berufswünsche. Durch Verwandte, die ebenfalls in Berlin wohnten, hatte ich es recht einfach, hier Fuß zu fassen. Außerdem wollte ich gerne in einer größeren Stadt leben, da ich eher aus dem Ländlichen kam. Später habe ich meine Berufswahl dann aber bereut.
Die ersten Jahre nach der Ausbildung in der Polizeibehörde waren Hardcore. Ich habe einige Vorfälle mit Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit erlebt und mich danach bei ähnlichen Situationen schwergetan; auch wenn es mich gar nicht direkt betraf. Da ich selber über viele Jahre meines Lebens Ausländer war, hatte ich dafür keinerlei Verständnis. Vor allem nicht für diskriminierende Verallgemeinerungen im Sinne einer Sippenhaft. Dass eine ganze Gruppe für das Fehlverhalten von einem aus ihrer Mitte verantwortlich gemacht wurde. Ich habe auch erlebt, dass auf Dienststellen häufiger diskriminierende Sprache benutzt wurde, sodass ich lange mit mir gerungen haben, ob ich eigentlich dabeibleibe. Es ist zum Großteil meiner Frau zu verdanken, dass ich dabeigeblieben bin. Sie hat mich darauf hingewiesen, dass ich nicht in dieselbe Falle tappe und verallgemeinernd von „die Polizisten oder die Polizei“ spreche. Denn natürlich sind dort nicht alle so und woanders wäre es sicherlich auch nicht anders.
Dass Einzelne irgendwelche Bemerkungen machen, ja, damit lernt man umzugehen. Jeder, der jüdischen Herkunft ist und außerhalb Israels lebt, lernt damit umzugehen. Aber dass man in den seltensten Fällen erlebt, dass dagegen aufbegehrt oder gar vorgegangen wird, ist fast noch enttäuschender. In einzelnen Fällen kann ich das sogar noch nachvollziehen, etwa, wenn man persönliche Nachteile befürchtet. Aber in meinem weiteren Umfeld, wo keiner Konsequenzen befürchten muss, habe ich leider dennoch erlebt, dass die Meisten lieber die Klappe halten. Da wird man natürlich mit der Zeit vorsichtiger.
Innerhalb der Behörde habe ich keinen Kontakt zu jüdischen Kolleginnen oder Kollegen, weil die es wahrscheinlich ähnlich handhaben und man dadurch nicht aufeinander aufmerksam wird. Was schade ist!
Ich habe relativ spät erfahren, dass ich Jude bin. Meine Großeltern haben die Familie erfolgreich als evangelisch durchgeschmuggelt, um das Dritte Reich zu überstehen. Sie sind rechtzeitig aus ihrer Heimat weggegangen, um einen Neuanfang in einer Gegend zu machen, wo sie gänzlich unbekannt waren. Dort sind sie dann als Protestanten in Erscheinung getreten und haben ihre Kinder protestantisch großgezogen. Ich war schon über 30, als mich mein Großonkel zur Seite nahm und fragte, ob ich überhaupt unsere Geschichte kenne. Ich wusste gar nicht, was der von mir will. Er hat mir dann erzählt, dass wir eigentlich kaschubische Juden sind, und dass wir durch diesen Trick überlebt haben. Er sagte auch, dass selbst meine Eltern nichts davon wüssten. Ich war völlig von den Socken, wie das geht. Danach sind mir dann Sachen aufgefallen, die ich vorher gar nicht registriert hatte. Zum Beispiel, dass bei uns in der Familie jiddische Begriffe ganz gängig benutzt wurden.
Ich hatte mich auch immer darüber gewundert, warum mein Vater geradezu intolerant gegenüber Intoleranz war. Das hatten ihm wohl seine Eltern so vermittelt und er hat es an seine Kinder weitergegeben. Dadurch wurden wir unsererseits sehr tolerant erzogen.
Das Dritte Reich wurde bei uns zu Hause nur in dem Sinne thematisiert, dass uns beigebracht wurde, was da passiert ist. Und dass Hitler ein Teufel in Menschengestalt war. Aber ansonsten war dieses Thema nicht unbedingt tabuisiert, es wurde einfach so gut wie nie darüber gesprochen. Ich frage mich, ob mein Vater es vielleicht doch gewusst, oder zumindest vermutet hatte und uns aus dieser Gedankenwelt nur raushalten wollte, damit es uns nicht belastet. Wir haben jedenfalls nie darüber geredet. Nachdem ich viele Jahre keinen Kontakt zu ihm hatte, habe ich mich kürzlich wieder mit ihm unterhalten und ihn auf das Gespräch mit meinem Großonkel angesprochen. Da bestätigte er mir, dass er hinsichtlich unserer jüdischen Herkunft bisher lediglich einen vagen Verdacht gehabt hatte, sich ihm jetzt jedoch einiges erklären würde. „Da setzt sich jetzt das ein oder andere Puzzleteil zusammen“, sagte er.
Als Kinder wurden wir ziemlich säkular erzogen. Wir sind zwar der Form halber konfirmiert worden, da wir offiziell evangelisch in der Schule waren, aber ansonsten hat jeder denken und glauben können, was er wollte. Und bei mir hat der Glaube nie eine große Rolle gespielt. Als ich später von unserer Herkunft erfuhr, habe ich angefangen, mich dafür zu interessieren. Ich empfand diese Geschichte als wahnsinnig interessant und bin mir so erst ein Stück mehr der Verantwortung bewusstgeworden, die wir als Menschen und Teil der Gesellschaft haben. Gemeinsam dafür zu sorgen, dass sich so etwas wie die Nazizeit nie mehr wiederholen kann – auch und gerade als Mitglied der Polizei.
Außerdem bin ich stolz auf meine Großeltern, dass sie es geschafft haben, dass wir als jüdische Familie überlebt haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was sie davor für eine Angst ausgestanden haben müssen, aufzufliegen. Wie schwierig das für sie gewesen sein muss, ihre eigene Vergangenheit, ihr eigenes Erbe komplett aufzugeben, ja sogar zu verleugnen, um ihre Kinder zu retten.
Wenn ich irgendwo unterwegs bin, und wir reisen bei Möglichkeit sehr viel, dann schaue ich, ob der jeweilige Ort eine jüdische Vergangenheit hat. Vor allem in Polen ist das immer wieder spannend. Wir waren auch schon in der Kaschubei [Landstrich in Polen, westlich von Danzig], um zu sehen, woher meine Familie kommt. Ich habe das Jüdischsein für mich als meine Herkunft angenommen.
Ich wünsche mir, dass sich die Polizei weiterhin offen mit sich selbst auseinandersetzt und Toleranz fördert und einfordert.
Der Umgang innerhalb der Behörde ist meiner Meinung nach insgesamt besser geworden, gerade auch auf das Thema Homosexualität bezogen. Ich habe mehrere Freunde, die homosexuell sind und sich auch dazu bekennen. Wenn ich gucke, wie die im Vergleich zu vor zwanzig Jahren heutzutage klarkommen, hat sich da schon einiges getan. Aber da ist sicher auch noch Luft nach oben.
Im Hinblick auf Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund merkt man aber, dass es noch ziemlich ausgeprägte Probleme gibt. Da fallen noch immer sehr häufig unschöne Bemerkungen und es gelingt nicht allen, Vorbehalte zu vermeiden.
Das ist schwer zu verallgemeinern. Es hängt wohl auch von der persönlichen Situation ab, ob man weiß, dass die Vorgesetzten hinter einem stehen oder nicht. Heutzutage würde ich die Konfrontation suchen und gegebenenfalls Kolleginnen und Kollegen zu einem Vier-Augen-Gespräch bitten. Entsprechend der Reaktion würde ich dann weitere Schritte einleiten, falls notwendig. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass man mit denjenigen, die sehr unangenehme Sprüche machen, gut sprechen kann. Oft wird ihnen erst durch das Gespräch bewusst, was sie da verbreiten. Und das hilft viel mehr als andere Dinge. Verglichen mit meinem Eintritt in diese Behörde fühle ich mich heute jedenfalls definitiv wohler hier. Aber inzwischen habe ich natürlich auch eine viel größere Lebenserfahrung.
Für Intoleranz jeder Art ist aus meiner Sicht jedenfalls kein Platz. Nicht nur was das Bild nach außen angeht. Es geht auch um die Legitimation gegenüber der Bevölkerung. Wie sollen wir Vertrauen für uns einfordern, wenn wir nicht selbst Vertrauen schaffen? Gerade die Polizei ist doch ein Sammelbecken der Gesellschaft.
Halachisch [nach dem jüdischen Gesetz], zähle ich nicht als Jude, da meine Mutter keine Jüdin ist. Allerdings war in der Geschichte auch schon mal der Vater der Entscheidende für die Zugehörigkeit zum Judentum. Solche Definitionen sind ein wenig irritierend, denn es gilt auch noch ein anderer Grundsatz in der jüdischen Welt: Jüdisch ist, wer jüdisch fühlt.