Name: Herr Knecht
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Telefon: 030-4664-0
Geführt von Wolfram Pemp und Thomas Ziem, LKA Präv Projekt JLUP,
am 22. April 2021
Ich bin in Haifa, in Israel, geboren. Als ich zweieinhalb Jahre alt war, sind meine Eltern nach Deutschland gezogen. Mein Vater war damals von seinen acht Geschwistern der Einzige, der in Israel geboren ist. Bis auf eine Schwester kamen alle anderen in Deutschland zur Welt. Meine Großeltern hatten erst in Frankfurt am Main gelebt und sind dann mit einem Schiff über Frankreich nach Israel, dem damaligen britischen Mandatsgebiet und heutigen Staat Israel, emigriert.
Ich bin in Düsseldorf aufgewachsen und dort in die Kita gegangen. Die Kita war die der Jüdischen Gemeinde. Schulen gab es aber vonseiten der Jüdischen Gemeinde nicht.
Ich war dann auf der Grundschule und anschließend auf dem Rethel-Gymnasium. Als ich 18 war, sind wir nach Israel zurückgezogen. Dort habe ich dann das Abitur absolviert und den Wehrdienst abgeleistet. Kurz danach bin ich über einen Freund nach Berlin gelangt. Hier habe ich dann 1987 mein Studium der BWL an der TU Berlin begonnen.
In der Grundschule in NRW hatte meine Klassenlehrerin etwas dagegen, dass wir – mein Zwillingsbruder und ich – aufs Gymnasium gehen. Sie sagte, wir wären nicht geeignet. Wir mussten uns erst beim Bildungsministerium mittels einer Sonderprüfung, die wir erfolgreich bestanden haben, für das Gymnasium qualifizieren. Die Lehrerin hatte vorher einige Bemerkungen fallen lassen, die ich als Kind nicht als schlimm empfand, aber im Nachhinein als antisemitisch interpretierte. Das waren wahrscheinlich auch ihre Gründe, uns keine Empfehlung auszusprechen.
Es gab ein- oder zweimal antisemitische Vorfälle in meiner Schulzeit, aber ich wurde nie geschlagen. Meine Schuljahre waren eine schöne Zeit.
Nach dem Studium hatte ich angefangen, beim Berliner Bausenat zu arbeiten. Während meiner mehrjährigen Tätigkeit in diesem Senatsressort habe ich sehr gute Erfahrungen mit meinen Kolleginnen und Kollegen sowie mit meinen Vorgesetzten gemacht. Ein gutes fachliches und besonderes zwischenmenschliches Arbeitsklima. Auf der Suche nach einem neuen beruflichen Wirkungskreis habe ich Anfang 2003 eine Stelle bei der Polizei angenommen. Seitdem bin ich hier tätig. Von Anfang an haben mich meine Kolleginnen und Kollegen sehr kollegial aufgenommen. Es gibt immer den einen oder anderen, mit dem man nicht zurechtkommt. Aber dass man aufgrund seiner Religion nicht akzeptiert wird, das kommt verschwindend gering vor. Es gab am Anfang mit meinem unmittelbaren Vorgesetzten weniger erfreuliche Erfahrungen. Aber als ich mitbekommen hatte, dass zahlreiche Kolleginnen und Kollegen mit ihm Schwierigkeiten hatten, hat sich das Ganze für mich relativiert.
Innerhalb meiner Arbeitsgruppe, mit den Dezernaten und den Direktionen, habe ich im Rahmen meiner Tätigkeiten hervorragende Erfahrungen gemacht, sowohl fachlich als auch menschlich.
Da ich eine Kippa [jüdische Kopfbedeckung] trage, stehe ich dem Berliner Neutralitätsgesetz, gelinde gesagt, sehr kritisch gegenüber. Ich persönlich empfinde es als enttäuschend, dass der Berliner Innensenat und seine nachgelagerten Institutionen, den Inhalt und Wortlaut dieses Gesetzes, das unter anderem vom Bundesarbeitsgericht in einer Reihe von Verfahren kritisiert wurde, in einer Art blinden und voreiligem Gehorsam undifferenziert und unkommentiert übernommen haben.
Das Tragen einer Kippa innerhalb einer Behörde stellt für mich definitiv auch kein Demonstrieren oder Zur-Schau-Stellen der Religion, wie es im Neutralitätsgesetz erwähnt wird, dar, sondern es ist ein Teil meiner Person.
Jüdischsein heißt für mich in erster Linie zu wissen, was meine Wurzeln sind. Ein Mensch muss zu seinen Wurzeln, zu seiner Vergangenheit, stehen. Das sind ganz klar die Ge- und Verbote des Judentums. Und im Grunde sind es diese und der feste Glaube daran, die den Bestand des jüdischen Volkes über die Jahrtausende gewährleistet haben, da es sonst verloren gegangen wäre. Das Judentum zu praktizieren und danach zu leben ist die Basis.
Die aktuelle Lage ist so in Deutschland, dass es vielerorts Antisemitismus gibt. Der Antisemitismus hat in Deutschland über die Jahrhunderte leider nicht an „Attraktivität“ eingebüßt. Grob kategorisiert, gibt es zwei Gruppierungen. Diejenigen, die ihren Judenhass bzw. Antisemitismus direkt und unverhüllt aussprechen und kundtun. Keine angenehme Erfahrung, jedoch weiß man bei diesen Leuten mehr oder weniger, woran man ist. Dann gibt es den latenten Antisemitismus. Personen, die sonst nicht in Erscheinung treten und sich erst dann trauen, ihren Antisemitismus auszuleben, wenn sich etwas ereignet und sie sich dann dazu mit ihren antisemitischen Einstellungen äußern. Das ist leider so.
Darüber hinaus hat sich eine weitere Gruppierung entwickelt. Diejenigen, die aus Ländern kommen, die politisch Feinde des Staates Israel sind, und dann den in ihren meist totalitär-diktatorischen Herkunftsländern indoktrinierten Juden- und Israelhass hier auch voll zum Ausdruck bringen. Dadurch entfernen wir uns von einem respektvollen Miteinander. Das hat dazu geführt, dass ich mich in meiner vertrauten Umgebung weniger wohl fühle. Das Leben wird zunehmend schwieriger.
Durch die Covid-Krise und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Einbußen vieler Menschen wurde hier ein sehr guter Nährboden für Demagogen geschaffen. So gibt es mehr offen herausgetragenen Antisemitismus. Schon allein aus Verzweiflung und der Suche nach den Gründen für Corona. Es war schon immer sehr einfach, die Schuld anderen Personen zuzuweisen bzw. jemanden oder eine Gruppierung als Sündenbock zu beschuldigen. Die Wahrheitsfindung hingegen ist oft ein sehr aufwendiger und mühsamer Prozess, den viele eher meiden.
Also gegenwärtig ist der Antisemitismus verbreitet. Die Entwicklung sehe ich nicht positiv.
In Bezug auf die gegenwärtigen Demonstrationen und auf Leute, die einen „Judenstern“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ tragen und das Anne-Frank-Buch für sich instrumentalisieren, kann ich den Unmut dieser Personen über den erheblichen Eingriff in die Grundrechte und über eine gewisse Ausgrenzung nachvollziehen. Diese Leute sehe ich nicht per se als Antisemiten.
Der gelbe Davidstern, der bis heute in Deutschland mit „Judenstern“ bezeichnet wird, symbolisiert nicht nur Ausgrenzung, sondern einen schrecklichen Völkermord, den die Menschheit in dem Ausmaß zuvor noch nie gekannt hat. Vor dem Hintergrund der Relativierung und Verharmlosung des Holocaust und mit Respekt vor all den Ermordeten und Überlebenden, die dieser Hölle auf Erden entkommen sind, gilt aus meiner Sicht für die Verwendung von Symbolen, die mit dem Völkermord an dem jüdischen Volk in Verbindung stehen, ein klares und unmissverständliches Tabu.
Wegen meiner Kippa gehe ich oft mit Basecap auf die Straße, manchmal aber auch nur mit Kippa. Armselig empfinde ich es, dass ein Jude mit Kippa bis heute nicht zum gewohnten und akzeptierten öffentlichem Bild in Deutschland sowie auch in Europa geworden ist. Sonderbare Blicke und blöde Kommentare sind eher die Regel und nicht die Ausnahme.
Ich erlebe, wie gesagt, ein unglaublich tolles Arbeiten mit meinen Kollegen. Das über die Jahre entstandene gegenseitige Vertrauen ermöglicht es mir, mit einigen meiner Kolleginnen und Kollegen, auch sehr offene Gespräche über Antisemitismus zu führen. Sie weisen mich beispielsweise darauf hin, wenn es zum Thema „Judentum“ oder „Antisemitismus“ interessante und relevante Artikel in den Zeitungen oder allgemein in den Medien gibt.
Vor dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Deutschland eine unglaubliche Symbiose zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen. Die Juden in Deutschland waren mit der deutschen Kultur, der deutschen Sprache und mit den Deutschen an sich sehr verbunden. Ein Beweis dafür, dass die Juden Deutschland als ihr Vaterland betrachtet und empfunden haben, ist die der Partizipation im Ersten Weltkrieg. Juden sind für Deutschland und, wie es viele Dokumente belegen, für den Kaiser, den sie auch als ihren betrachtet haben, in den Krieg gezogen und haben ihr Leben für Deutschland gegeben.
Wenn also den Leuten klar ist, dass man sich gegenseitig bereichern kann, dann könnte das Zusammenleben ganz anders sein. Aber viele sehen das eben nicht so, sondern betrachten die Juden als Fremdkörper.
Dass die Geschichte sich wiederholt, kann ich mir anhand der gegenwärtigen Entwicklung sehr gut vorstellen. Vielleicht nicht so wie damals, aber durch die Covid-Krise sieht man, was alles möglich ist.
Aus meiner Sicht ist das Amt des Antisemitismusbeauftragten, sei es bei der Polizei oder beim Land Berlin, ein klares Zeichen für die Werte, für die Deutschland steht. Auch die vielen Denkmäler, wie beispielsweise das Denkmal am Brandenburger Tor, sind Monumente, die es zu würdigen gilt. Für mich persönlich hat all dieser Aufwand nur dann einen Sinn bzw. seinen Zweck erfüllt, wenn die Leute begreifen, was das Resultat von rassistisch motiviertem und letztendlich grundlosem Hass ist. Von der Realität, in der Menschen empfinden, erleben und davon überzeugt sind, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Religionen und verschiedenen Nationen gegenseitig bereichern, davon sind wir noch weit entfernt. Dies wäre die Basis für ein respektvolles und konstruktives Miteinander. Das ist mir noch viel wichtiger als Denkmäler oder politische Positionen, die eingerichtet werden.
Die Position des Antisemitismusbeauftragten der Polizei Berlin sehe ich als keine einfache Aufgabe. Meine erste Assoziation hierzu war eine Aussage eines ehemaligen und langjährigen Bürgermeisters von Jerusalem, der sinngemäß sagte, dass man als Bürgermeister der Stadt Jerusalem viel falsch machen kann, aber nichts richtig.
Weil es solch erhebliche Interessenkollisionen gibt, ist dieses Amt definitiv nicht einfach, und deshalb unterstütze ich gerne den Antisemitismusbeauftragten, wo ich nur kann.
Es gibt „Recht“ und „Gerechtigkeit“ und durch meine Arbeit bei der Polizei leiste ich meinen Beitrag dazu. Die Polizei ist für mich ein Arbeitsplatz, an dem ich wirken und etwas bewirken kann.
In der Tora (Deuteronomium / Dewarim, Wochenabschnitt Richter / Schoftim [16:18 – 21:9]) [die fünf Bücher Mose], wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Richter und Polizisten für die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft sehr wichtig sind. An die Personen, die diese Stellen und Posten bekleiden, werden sehr hohe Anforderungen hinsichtlich Moral, Normen, Werte etc. gestellt. Eine unabdingbare Voraussetzung für ein niveauvolles Funktionieren dieser Institutionen. Dass Bildung und Wissen allein kein Garant für respektvollen und würdigen Umgang mit seinen Mitmenschen ist, hat uns die Geschichte auf eine bittere Weise gelehrt.
Da meine Familie in Israel lebt und ich oft dort bin, lebe ich in zwei Kulturen. So wie viele andere auch, die in oder vielmehr mit diesen beiden Kulturen aufgewachsen sind, empfinde ich für beide eine starke Verbundenheit, insbesondere durch jahrzehntelange Freundschaften. Ich erlebe in beiden Ländern unglaublich viele Vorteile. Sobald mir dann der ein oder andere Nachteil in der jeweiligen Region bewusst wird oder ich einfach das andere kulturelle Umfeld vermisse, spüre ich den Drang, wieder in diese Sphäre einzutauchen. Mir ist wichtig zu erwähnen, dass es sich um die Örtlichkeiten handelt. Was die Religion angeht, so war, ist und bleibt dies das Judentum für mich.