Name: Herr Knecht
E-Mail: dir-zs-ikt-barrierefreiheit@polizei.berlin.de
Telefon: 030-4664-0
Zusammenfassung:
Im gesamten Deutschen Reich kam es in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zu Terrorakten gegen Juden, die von staatlicher Seite als „spontane Aktionen des Volkszorns“ dargestellt wurden, und bei denen alle Staatspolizeistellen angewiesen wurden, Demonstrationen und gewalttätige Aktionen gegen Juden gerade nicht zu verhindern.
In dieser Nacht stellten sich Polizeibeamte des Reviers 16 der SA entgegen und verhinderten so die vollständige Zerstörung der Neuen Synagoge. Der Reviervorsteher Wilhelm Krützfeld deckte seine Untergebenen und berief sich dabei geschickt auf das sogenannte „Heimatschutzgesetz“.
Reviervorsteher Wilhelm Krützfeld an seinem Schreibtisch im 16. Polizeirevier am Hackeschen Markt 1939
© Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum
Wilhelm Krützfeld, Porträt 1939/1940
© Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum
Laut weniger, und sich teils widersprechender, Quellen gab es weitere mutige Polizeibeamte auf dem Revier 16, welche im NS-Staat gegen die Vorschriften verstießen und jüdische Einrichtungen vor Razzien warnten oder ihnen hilfreiche Papiere besorgten. Es herrschte ein positiver Zusammenhalt und man hat sich wahrscheinlich gegenseitig gedeckt, anders wäre dieses Ausmaß an Hilfe nicht möglich gewesen.
Ausführung:
Auszug aus der schriftlichen Hausarbeit Modul MV2 Vertiefung II der Studierenden: B. Broszat, J. Gabron und M. Girke; Gutachter: Frank-Peter Bitter, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Fachbereich 5 – Polizei und Sicherheitsmanagement, Bachelor-Studiengang Gehobener Polizeivollzugsdienst, 25. Februar 2021
Nach der Machtübergabe an Hitler im Jahr 1933 wurde mit einer „Säuberung“ der Polizei begonnen, wobei politisch unliebsame Beamte und auch solche „nicht arischer Abstammung“ aus dem Dienst entfernt wurden. Dies betraf vor allem Juden und Sozialdemokraten. Allerdings waren bereits im Sommer 1932 im Zuge des Papen-Putsches (Ablösung der sozialdemokratischen Regierung in Preußen) viele kritische Polizeibeamte entlassen worden. Viele Polizeibeamte passten sich an oder hatten sich bereits zuvor mit der nationalsozialistischen Ideologie identifiziert, waren also nicht demokratisch, sondern antidemokratisch eingestellt. Da sich der NS-Staat als Polizeistaat darstellte, gewannen die Polizeibehörden in kürzester Zeit massiv an Macht, was durch viele Polizeibeamte begrüßt wurde. Ferner kam es immer mehr zu einer Vermischung von SS und Polizei.
Auch das Bild eines „idealen Polizeibeamten“ veränderte sich: So war es nun wichtig, die nationalsozialistischen „Werte“ verinnerlicht zu haben, sich dem System bedingungslos zu ergeben und „arischer Abstammung“ zu sein. Als Polizeibeamter gegen das NS-Regime zu agieren, war aufgrund der Kontrolle durch die Kollegen nur schwer möglich. So verhielt es sich auch in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als es im gesamten Deutschen Reich zu Terrorakten gegen Juden kam, die von staatlicher Seite als „spontane Aktionen des Volkszorns“ dargestellt wurden, und bei denen alle Staatspolizeistellen angewiesen wurden, Demonstrationen und gewalttätige Aktionen gegen Juden gerade nicht zu verhindern.
Das Revier 16, mit seiner Dienststelle am Hackeschen Markt im Herzen Berlins gelegen, umfasste mit dem Quartier rings um die Oranienburger Straße auch eines der Zentren jüdischen Lebens in der Stadt. Hier gab es Polizeibeamte, welche jüdische Einrichtungen vor Razzien warnten oder ihnen hilfreiche Papiere besorgten.
In der Pogromnacht vom November 1938 stellte sich der Polizeibeamte Otto Bellgardt der SA entgegen und verhinderte so die vollständige Zerstörung der Neuen Synagoge. Der Reviervorsteher Wilhelm Krützfeld deckte seinen Untergebenen und berief sich dabei geschickt auf das sogenannte „Heimatschutzgesetz“, welches bereits 1934 „zum Schutze von Kunst-, Kultur- und Naturdenkmalen“ erlassen worden war. Erstaunlich ist, dass Krützfeld für dieses Vorgehen von seinem Vorgesetzten lediglich gerügt wurde und es anscheinend keine weiteren dienstlichen Sanktionen gab.
Die reviereigene Meldestelle wurde durch ihren Leiter Willi Steuck auch über die Reviergrenzen hinaus als Anlaufstelle für Hilfesuchende bekannt. Nur von wenigen weiteren Kollegen sind überhaupt die Nachnamen bekannt: Prohaska, Junghans und Nowak.
Im Revier 16 herrschte ein positiver Zusammenhalt und man hat sich wahrscheinlich gegenseitig gedeckt, anders wäre dieses Ausmaß an Hilfe kaum möglich gewesen. Später wurde Krützfeld versetzt und Steuck bei einem couragierten Auftritt für seine Mitbürger in den letzten Kriegstagen standgerichtlich erschossen, jedoch lässt sich kein direkter Zusammenhang zu den Ereignissen im November 1938 herstellen.
Überhaupt gibt es zu den Geschehnissen in der Pogromnacht 1938 rund um die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße nur wenige und sich teils widersprechende Quellen. Einigkeit besteht jedoch darin, dass Polizeibeamte des Reviers 16 am Hackeschen Markt durch ihren couragierten Einsatz eine vollständige Zerstörung der Neuen Synagoge verhindern konnten.
Dass es innerhalb des Reviers 16 in den Zeiten des Nationalsozialismus Polizeibeamte gab, die sich auf direktem oder indirektem Wege den unmenschlichen Vorgaben der Regierung auf Reichs- und Landesebene widersetzten, steht außer Zweifel.
Über die Werte und Motive der dortigen Kollegenschaft lässt sich heute nur spekulieren. Ihre persönliche Haltung und ihr Bestreben nach Gerechtigkeit sowie ein Stück Menschlichkeit gehörten sicherlich zu ihren Hauptmotivationen. Diese Menschen waren bereit, der jüdischen Bevölkerung in jener schwierigen Zeit zu helfen, was das Revier 16 zu einer Einheit zusammengeschweißt hat. Es ist erfreulich zu sehen, dass diese Beamten in einem solch finsteren Kapitel deutscher Geschichte Tugenden wie Mut, Gerechtigkeit, Klugheit und Hilfsbereitschaft beibehalten haben, um denen zu helfen, die Hilfe benötigten.